Stress in Training & Ausbildung
- Alex

- 30. Sept.
- 3 Min. Lesezeit
„Kriegsnah ausbilden“ und „Train as you fight“ sind zwei meiner Lieblingsbeispiele für zu 95 % falsch interpretierte Weisheiten in der taktischen Ausbildung, sei es im Schießtraining, in der Nahkampfausbildung oder sonst wo.
Teilnehmer werden unter Druck gesetzt: sei es bei der Schießausbildung, indem jeder Fehler in Handhabung oder Trefferbild lautstarkes und unhöfliches Feedback erzielt, oder in der H2H-Ausbildung, wo der Gegner maximale Gegenwehr geben muss – immer. Am besten im Vollkontakt.
Hier werden vermutlich schon einige innerlich gegen mich schießen wollen – es geht immerhin um den Ernstfall! Da ist harte Ausbildung erforderlich! Es geht um Menschenleben und den Auftrag!
Und ich stimme zu, um das vorwegzunehmen – Stress ist EXTREM wichtig in der taktischen Ausbildung. Aber: an der richtigen Stelle!
Und die sehen wir uns jetzt mal an:
In der Didaktik werden in der Regel drei Lernstufen unterschieden:
Kennen – der Teilnehmer weiß, wie etwas grundsätzlich funktioniert.
Können – er kann die Abläufe wiederholen, reproduzieren und anwenden.
Beherrschen – er ist in der Lage, auch unter widrigsten Bedingungen zuverlässig die richtige Handlung abzurufen.
Stress, sei es durch massive Gegenwehr im Halb- oder Vollkontakt bei der Abwehr eines Schwitzkastens oder durch Anbrüllen und körperliche Belastung in der Feuerwaffenausbildung, ist ein elementarer Teil der letzten Stufe – Beherrschen.
Das Problem: Viele Ausbilder setzen Stress bereits in der Kennen- oder Können-Phase ein.
Das führt fast zwangsläufig zu Frustration, schlechten Lernergebnissen und im schlimmsten Fall zu einer Verinnerlichung von Fehlern.
Ein Beispiel: Wenn ein Anfänger in seiner ersten Schießstunde direkt angeschrien wird, weil er die Magazinwechsel noch nicht sauber beherrscht, dann wird er vor allem eines lernen: Unsicherheit. Sein Gehirn verknüpft die Tätigkeit nicht mit Routine, sondern mit Chaos und Versagen.
Oder im Nahkampf: Wer in der ersten Trainingswoche nur im Vollkontakt geprügelt wird, ohne Techniken sauber kennengelernt zu haben, entwickelt weder Körpermechanik noch Selbstvertrauen – sondern bloß Verletzungen und Abneigung gegen das Training.
Der richtige Weg ist ein progressiver Aufbau:
Kennen: Technik isoliert und ohne Druck vermitteln. Fokus auf saubere Abläufe und Verständnis.
Können: Technik in kontrollierten Szenarien anwenden, Fehler analysieren und korrigieren.
Beherrschen: Erst jetzt realistischen Stress hinzufügen – Zeitdruck, körperliche Belastung, Gegenwehr, Überraschungsszenarien.
So entsteht echtes stress inoculation training: Der Körper und der Kopf gewöhnen sich an Druck, aber auf einem Fundament von Können.
Das Umsetzen unter Stress ist ein fortgeschrittenes Trainingsziel – vergleichbar mit „einen Halbmarathon laufen“. Leider werden Sätze wie „train as you fight“ etc. gern als Grund angegeben, das Training immer gleich möglichst nah an die Realität (bzw. das Endziel) anzupassen – also Stress, sperrige Ausrüstung („Wir üben im Fullkit, Train as you fight!“) etc. viel zu früh einzusetzen – und damit die Lernkurve der Teilnehmer zu sabotieren.
Ebenso wenig, wie ein Lauftrainer mit einem IQ über Zimmertemperatur einem absoluten Lauf-Anfänger vorschlagen würde, zur Vorbereitung auf einen Halbmarathon in 6 Monaten heute einen Halbmarathon zu laufen sollte ein taktischer Ausbilder, meiner bescheidenen Meinung nach, das Endziel (fehlerfreie Umsetzung unter Stress im Fullkit) mit dem Weg zu diesem Ziel verwechseln!
Ich habe tatsächlich einmal das „Glück“ gehabt, eine CQB (oder OHK für unsere Altgedienten) ERST-Ausbildung in voller Montur in einem beengten Bunker mit einem sehr ungeduldigen und lautstarken Ausbilder zu erleben. Es ist faszinierend, wie wenig ein Zug (ca. 60 Mann) an einem vollen Nachmittag lernen kann. 😉
Also Ja: Üben im Fullkit, unter ABC-Schutzmaske, mit Schlafentzug, mit unkooperativem Partner usw. sind elementare Schritte auf dem Weg zur tatsächlichen Einsatzfähigkeit - zu früh, falsch und/oder gar zum Selbstzweck eingesetzt behindern Sie lediglich die Entwicklung der gesuchten Fähigkeiten.
Daher merken – vom leichten zum schweren: Crawl, Walk, Run.
Stress ist kein Startpunkt, sondern das Endziel. Erst wenn Technik sitzt, darf Druck drauf – alles andere ist Selbstsabotage.
Stay aware, stay safe!
Alex




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